Difficult roads often lead to beautiful destinations (aber halt nicht immer)

Seit zwei Jahren steht auf der Startseite meiner Website ein Zitat: „Life isn’t about finding yourself, it’s about creating yourself“. Gesagt hat das George Bernhard Shaw und was er ganz genau damit gemeint hat, weiß ich natürlich nicht. Ich mochte das Zitat lange Zeit, weil es für mich ausdrückte, dass Veränderung und Weiterentwicklung möglich sind und dass wir nicht passiv in einem Umstand verharren müssen, der uns dauerhaft unglücklich macht. Für mich sagte es aus, dass wir alle uns ein Leben kreieren können, das zu uns passt und dass es sich lohnt, für die eigenen Träume und Ideale zu kämpfen.

 

Nach den letzten Monaten, die für viele von uns oft Kämpfen und Aushalten bedeuteten, liest sich dieses Zitat für mich inzwischen ein bisschen ambivalent. Ich hoffe und glaube immer noch, dass es möglich ist, sich selbst ein Leben zu erschaffen, das einen glücklich macht. Und doch klingt es für mich heute ein bisschen schal und leer, denn es steht außer Frage, dass es für manche Menschen schwieriger ist, „sich selbst zu kreieren“ als für andere. Einerseits durch schwierige soziale, familiäre und finanzielle Verhältnisse, aus denen wir kommen, durch äußere Einflüsse, aus struktureller Ungerechtigkeit von politischen und wirtschaftlichen Systemen und andererseits aber vielleicht auch einfach deshalb, weil es manchen Menschen leichter fällt, sich an Veränderungen anzupassen als anderen. Oder es ist eine Mischung aus inneren und äußeren Gründen. Coaching befasst sich weniger als Therapie oder gar Psychoanalyse damit, was in der Vergangenheit dazu geführt hat, dass ein Mensch sich an dem Punkt befindet, an dem er heute ins Coaching mit einem inneren oder äußeren Konflikt kommt. Coaching ist ein sehr lösungsorientiertes Werkzeug. Oft gilt es, zu visualisieren, was anders sein soll und nicht, zu ergründen, was zur heutigen unbefriedigenden Situation geführt hat. (Ich finde durchaus, dass beides seine Berechtigung hat: das Zurückschauen und das Vor-Träumen.) Also passt das Zitat von Shaw, dass es im Leben nicht darum geht, sich selbst zu finden, sondern sich selbst zu erschaffen, eigentlich schon sehr gut zum Coaching.

 

In letzter Zeit habe ich mich allerdings öfter gefragt, ob genau diese Haltung nicht auch entmutigend sein kann. In einer beruflichen oder privaten Krise – hervorgerufen durch ein nicht zu beeinflussendes Ereignis wie z.B. eine Pandemie – erscheint es mir ein bisschen vermessen, mit motivierenden Sprüche wie „Go, create yourself!“ zu reagieren. Denn impliziert die weit verbreitete Haltung, dass man alles schaffen kann, nicht irgendwie auch: „Wenn du es nicht schaffst – obwohl man doch ALLES schaffen kann, wenn man nur will – hast du dich vielleicht einfach nicht genug angestrengt?“

 

In letzter Zeit bin ich an zwei sehr schönen Zitaten hängen geblieben:

 

„There’s a crack in everything – that’s how the light gets in“ von Leonard Cohen und

 

„Difficult roads often lead to beautiful destinations“ (Verfasser unbekannt).

 

Ich finde, diese beiden Sätze treffen es besser und sie machen weniger Druck. Denn ist es nicht so wie Leonard Cohen singt: da ist immer ein Riss, in allem. Nichts auf der Welt ist komplett gut und positiv und perfekt. Für alles gibt es Gewinn und Preis. Und durch die Risse scheint das Licht, auch in ganz dunklen Zeiten. Und trotzdem dürfen sie erstmal dunkel bleiben.

 

Und die schwierigen Wege in dem zweiten Zitat KÖNNEN zu den schönsten Zielen führen. Sie müssen aber auch nicht. Manchmal ist ein schwieriger Weg einfach ein schwieriger Weg. Ich finde, wir dürfen traurig, wütend und verzagt sein und müssen nicht sofort reflexartig sagen „Das ist bestimmt für etwas gut!“ Wenn nach dem schwierigen Weg eine Belohnung in Form eines schönen Zieles folgt: umso besser. Und wenn nicht, dann haben wir auch nicht automatisch etwas falsch gemacht, uns nicht genug angestrengt oder haben im positiven Denken versagt. Aber eine Gabelung, eine Abzweigung, die Möglichkeit, den schwierigen Weg zu verlassen: die folgt früher oder später. Daran glaube ich ganz fest. Manchmal findet man diese Gabelungen und Abzweigungen im Coaching, manchmal während man in der Sonne liegt und den Bienen beim Summen zuhört.

 

Das Leben ist zu komplex für Postkartensprüche. Und das wiederum könnte doch fast schon wieder auf einer Postkarte stehen.

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Frida (Fridas_Fragmente) (Dienstag, 30 Juni 2020 12:07)

    Liebe Pamela! Wie schön beschrieben! Und du hast recht, diese zwei Zitate öffnen Türen - ganz ohne Druck! Danke für diese erhellenden Zeilen! Deine Frida